Hauptfigur der Geschichte ist Bekha. Sie hieß im realen Leben ähnlich und verunglückte 2008 tödlich. Eine bemerkenswerte Frau, die ich kennenlernen durfte, als ich noch im eigenen Fotostudio arbeitete. Sie betrat in Lederkombi den Raum, als starke und wunderschöne Erscheinung, mit wilden, dunklen Locken. Wir wurden Freundinnen. Ihre Leidenschaft war ihre Maschine; eine Harley. Zu Tode kam sie jedoch nicht durch ihr Motorrad, sondern als Beifahrerin in einem Pkw; am zweiten Weihnachtsfeiertag auf dem Weg nach Hause. Ein sehr grausamer Tag in meinem Leben. Auf meiner Mailbox war immer noch die Nachricht gespeichert, in der sie mir mitteilte, bald zu heiraten und mich einlud. Nach diesem Schicksalsschlag veränderte ich mich tatsächlich innerlich und verabschiedete mich kurz darauf aus der oberflächlichen Showbizzwelt als Musikmanagerin. An Bekhas 10. Todestag hole ich sie ins Leben zurück und widme dieses Projekt … Dir, liebe Bekha!
Zur Synopsis:
Im Roman stütze ich mich auf eine Inspiration, die ich hatte, als ich Agatha Christies Biografie las.
Wie Agatha, ist auch Bekha eine Wanderin zwischen zwei Welten. In einer Realität lebt man die Rolle, die für die Gesellschaft angebracht ist und den kulturellen Vorgaben entspricht; in der parallelen Rolle – die eigentlich dem wirklichen, gewünschten Lebensmodel zugedacht ist – widmet man sich seiner Gabe. Bekhas Gabe war, durch die Gesellschaft hindurchzusehen. Sie betrachtete das Elend der Welt nicht über einen Monitor, sondern betrat den subversiven Raum unter der Kruste der dünnschichtigen Belanglosigkeit in eigener Person. So arbeitete sie einige Monate im Umfeld der Normalität, flirtete mit Männern, wickelte Kundenbesuche als Pharmareferentin ab. Doch dann kam ihre Zeit und sie verschwand. An anderer Stelle dieser Erde kam sie wieder zum Vorschein, als Bote ihres tiefsten Wunsches nach weniger Schmerz. In jenen Tagen sah man sie irgendwo auf einem Schiff, Richtung Jordanien, um die Mörder ihrer Cousine zu finden, die ihr junges Leben durch eine Begegnung mit einem Dealer gegen die Dunkelheit der Drogensucht eintauschte.
Susan Ville
Leseprobe
BEKHAS FRONT – Kapitel 1 Aqaba
Sie blinzelte in eine Art wirbelnde Lichtteilchen. Grünlich und gelb flirrten die Partikel um sie herum, und auch beim Drehen um ihre eigene Körperachse ließ der Eindruck nicht nach, von
dieser Lichtstruktur umschlossen zu sein.
„Du bist Bekha, nicht wahr?!“
Ein kreischendes Schlurfen von Plastikschuhsohlen auf Waschbeton konnte sie wahrnehmen, obwohl es ihr vorkam, als würden ihre geblendeten Augen die restlichen Sinne abkoppeln. Das Schlurfen
stoppte nah neben ihr. Noch immer sah sie nur Grün und Gelb. Sie kippte den Kopf, der Ortung wegen, ihre Hand tastete den Oberschenkel und die Hose nach dieser kleinen aufgesetzten Tasche ab.
Laut stieß sie Atem aus.
„Wer will das wissen?“
Dann atmete sie weiter, tief, um sich zu konzentrieren. Ein paar Sekunden lang war es sehr ruhig, man hörte das Summen eines Transformators.
„Na, ich ... Bekha ... ich.“
„Wer ist ich?“
„Ich bin ... dein Feind?! Weißt du nicht mehr? Du hattest mit deinem elenden Gewissen einen Pakt geschlossen, um die Dinge ... aus dem Gleichgewicht zu bringen. Armseliges Mädchen ... voller
Schuldkomplexe und Schwäche. Ganz ohne den Sinn für den einzig wahren Grund zu leben, fürchte ich.“
Bekha fühlte endlich das kleine flache Kästchen zwischen ihren Fingern und ließ die Hand am Bein. Ihre Angst konnte man hören, aber es bestärkte ihr Gegenüber auch nur, sie für ein leichtes Opfer
zu halten. Der Fremde konnte sich täuschen.
„Ach ja? Und was ist deiner Meinung nach der wahre Grund zu leben? Möglichst viele Menschen für eine schicke Blechkiste an die Nadel zu bringen? Oder mit den größten Schlächtern unter Gottes
Sonne Tee zu trinken?“
Das Klicken eines Feuerzeugs: Er raucht – sehr gut, dachte sie.
„Moral, liebe Bekha, gehört zu den Grundpfeilern meiner Arbeit, du siehst meine guten Absichten nicht. Aber das kommt schon noch. Eine Menge armer Menschen bekommen durch uns redliche Arbeit,
weißt du? Wir werden dir alles zeigen ... damit du im Bilde bist, wenn du diese Erde verlässt ...“
„Schade, dass ich nie miterleben werde, wie du in der Hölle dem Teufel auf Knien seine abartigen Wünsche erfüllen musst. Das unterscheidet uns nämlich im Jenseits. Wir sind für unterschiedliche
Hotels gebucht, und du wirst nach deinem Tod in einer dreckigen Absteige enden!“
Bekha konnte plötzlich etwas sehen, der grüngelbe Staub wurde deutlicher, das Licht blendete weniger und sie erkannte Umrisse. Sie hatte nur einen Versuch. Er musste noch näher kommen. Wo genau
stand er gerade? Er lachte grotesk hässlich.
„Wahrlich, ich sage euch! Schon morgen werdet ihr im Paradise sein! Amen! Amen, du beschissener Gott!“
„Schon beim Beichten?“, fauchte Bekha die undeutlichen Umrisse an.
Das Fauchen eines Drachens. Um das Glühen seiner Zigarette zu erkennen, benötigte sie mehr Dunkelheit. Sie versuchte rückwärts zu gehen und streckte die freie Hand nach hinten aus. Man hörte ein
seltsames herrisches Räuspern.
„Ich glaube, ich werde dich hierbehalten. Für ein paar Jahre, und dir beim Verfaulen zusehen. Hm? Was hältst du davon? Sollst dir deinen Luxushimmel ja auch verdienen!“
Wieder lachte er hysterisch. Koks kroch aus seinen Poren. Bekha widerte dieses Lachen an, es roch nach vergossenem Blut, so nahe kam er heran, während Bekha einen Schritt rückwärts machte und aus
dem neongelben Lichtkegel herausragte. Ihre Augen suchten nach dem rotglühenden Punkt, sie sagte nichts und wartete. Dann sah sie den Punkt, heller und größer werdend, sie ergänzte im Kopf das
Bild, wie er an seiner Kippe zog und warf das kleine Kästchen mit leichtem Schwung in Richtung des Glimmens. Schlagartig erhellte sich der Raum, der Körper entzündete sich in hellem Weiß und
brannte schnell. Bekha duckte sich vor dem Blitz ab, sie rannte hin zu einer metallglänzenden Fläche, die wie eine Tür aussah. Sie stürzte über etwas wie ein Kabel und riss den gigantischen
Scheinwerfer um, der ihr zuvor die Sicht raubte. Sie schrie wie eine Löwin, um sich selbst herauszufordern, drückte sich vom Boden ab und warf sich gegen das Metall. Es war tatsächlich eine Art
Tür, ließ sich öffnen und Bekha stolperte, mit den Armen rudernd, hinaus, stürzte wieder und spürte das Brennen abgeschürfter Haut an ihren Handflächen.
„Magnesium mit Kaliumchlorat, du Arsch!“, schrie sie in Richtung des Containers, als sie ihr Umfeld erkannte. Es war Nacht. Es war ein Hafen. Der Hafen von Aqaba.